Politbeben: Kanzler Schallenberg kündigt Rückzug an
Aus dem nichts war er da und schon ist er wieder weg. Alexander Schallenberg (ÖVP) hat am Abend nolens volens seinen Abgang aus dem Kanzleramt angekündigt und sich damit zum kürzest dienenden Regierungschef Österreichs gemacht. Allzu traurig wird er persönlich wohl kaum sein, hat er den Posten doch nie angestrebt. Dennoch wäre er wohl gerne mit einem anderen Rekord in die Annalen eingegangen.
Von Anfang an war Schallenberg unter dem Verdacht gestanden, nur den Platzhalter für Sebastian Kurz (ÖVP) zu spielen. Jetzt wo der sich doch für den Abschied aus der Politik entschied, hat sich dieser bestätigt. Weder wollte Schallenberg Parteichef werden noch war dies für die Partei eine echte Option. Da der Obmann aber auch Kanzler sein sollte, war die Zeit für Schallenberg abgelaufen.
Ohnehin war sein Auftreten in der neuen Rolle nicht nur glücklich. Schon beim ersten Auftritt Kurz freizusprechen, wurde allgemein als mäßig gelungen aufgenommen. Auch sonst wirkte Schallenberg nicht immer trittsicher. Tagelang wehrte er sich gegen einen Lockdown für Geimpfte, um ihn letztlich dann doch absegnen zu müssen. Immerhin wurde unter ihm das Verhältnis zum Koalitionspartner wieder etwas entspannt.
Dialogfähigkeit ist ohnehin etwas, das Schallenberg zugeschrieben wird, auch wenn er gerade in der Zuwanderungspolitik auch mal zu brachialer Rhetorik griff. Takt hat er wohl auch am diplomatischen Parkett gelernt, das seine Familie seit Jahrzehnten betritt. Sein Vater Wolfgang war Generalsekretär im Außenministerium, und auch die Karriere des Filius sollte sich in ähnlichen Regionen abspielen.
Geboren wurde Schallenberg 1969 in Bern, auf wuchs er in Indien, Spanien und Frankreich. Von 1989 bis 1994 studierte der aus altem oberösterreichischen Adelsgeschlecht Stammende Rechtswissenschaften in Wien und Paris, danach Europäisches Recht am Europacollege in der belgischen Stadt Brügge. Wurzeln hat er im Mühlviertel in Oberösterreich, sein nasaler Sprechstil steht aber wie seine Art von Humor eher fürs diplomatische Parkett denn für den Stammtisch, den man für Wahlerfolge auch erobern sollte.
Schallenbergs erste Auslandsstation war Brüssel, genauer die österreichische EU-Vertretung dort, wo er fünf Jahre lang die Rechtsabteilung leitete. Zurück in Österreich machte sich Schallenberg als Pressesprecher der früheren Außenministerin Ursula Plassnik sowie später von deren Nachfolger Michael Spindelegger (beide ÖVP) einen guten Namen.
Als Kurz die Agenden des Außenministers übernahm, beförderte er den Kommunikationsprofi zum Leiter für "strategische außenpolitische Planung". Auch in den Regierungsverhandlungen nach der Nationalratswahl 2017 zählte Kurz auf ihn. So folgte der ausgewiesene Europaexperte ihm auch ins Bundeskanzleramt, wo er während der türkis-blauen Regierungszeit die Stabsstelle Strategie und Planung leitete.
Zu Ministerehren kam der vierfache Vater in der Experten-Regierung nach Ibiza, wo er das Außenamt für den Übergang leitete. Allerdings galt er damals schon als heimlicher Kanzler, der die in Regierungsgeschäften unerfahrene Brigitte Bierlein tatkräftig unterstützte, wohl auch mit einem leichten Seitenblick auf Nutzen für die Volkspartei. Die Rolle stand ihm wohl besser als die ganz an der Front. Sie aufzugeben dürfte Schallenberg nicht sonderlich schwer fallen. Ob ihn sein weiterer Weg an die alte Wirkungsstätte im Außenministerium führt, wird er wohl selbst entscheiden. Denn eine komplette Demontage wird ihm die Partei eher nicht antun.
Zur Person: Alexander Schallenberg, geboren am 20. Juni 1969 in Bern (Schweiz), geschieden, Vater von vier Kindern. Jurist. Seit 1997 im Außenministerium, u.a. an Österreichs Vertretung bei der EU in Brüssel, weist er eine lange Karriere in ÖVP-Kabinetten auf. Ab 2006 Pressesprecher von Außenministerin Ursula Plassnik und ab 2008 von ihrem Nachfolger Michael Spindelegger. Ab 2013 unter Außenminister Sebastian Kurz für "strategische außenpolitische Planung" zuständig. Ab 1. März 2018 Leiter der EU-Koordinationssektion des Bundeskanzleramts, ab 3. Juni 2019 Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres im Übergangskabinett von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, seit Jänner 2020 Außenminister im Kabinett Kurz II., ab 11. Oktober Bundeskanzler. (APA)