Spazierengehen als "Akt des Widerstands"
Der von den anhaltenden Corona-Maßnahmen gebeutelte Theaterbetrieb hat den Audio-Boom für sich entdeckt. Nach dem Telefonat "Tausend Wege" des Volkstheaters bietet nun auch das brut Wien ein Theatererlebnis zum Hören an. "More or less" ist ein angeleiteter Spaziergang durch die eigene Nachbarschaft, in dem Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer zum Nichtstun als "Akt des Widerstands" aufrufen. Die Datei kann zum Preis von 6 Euro ab Donnerstag heruntergeladen werden.
Auch wenn auf der Website eindringlich auf die Einhaltung der jeweils geltenden Corona-Maßnahmen hingewiesen wird, dürfte "More or less" in die Kategorie der "körperlichen und psychischen Erholung" fallen. Schließlich begibt man sich allein mit seinem Handy und Kopfhörern vor die Haustür, um das zu erleben, was man vielleicht erst im vergangenen Jahr gelernt hat: ohne Ziel zu Fuß umherstreifen, um das Gehirn auszulüften. Einziger Unterschied: Aus den Kopfhörern kommen - auf Englisch - die Stimmen des österreichisch-estnischen Duos.
Dabei philosophieren die beiden Performerinnen nicht nur über Produktivitätsdruck und Entschleunigung, "the joy of missing out" oder die Geschichte von Telefonwarteschleifen, sondern werfen den Zuhörer manchmal auch in eine bewusste Stille hinein. An anderer Stelle rufen Sööt/Zeyringer dazu auf, sich an einer grauen Hausmauer einen Sonnenuntergang vorzustellen oder einer Stromleitung zu folgen.
Da kann es passieren, dass man plötzlich mit einem Baum spricht oder sich auf einer Bank niederlässt, um sich eine "Vorstellung" in der unmittelbaren Umgebung anzusehen. Und so wird "More or less" zu einer - etwas bemühten - Meditation über den Wert der Entschleunigung. Durchgeführt werden kann "More or less" theoretisch überall, ein wenig urbane Umgebung schadet aber nicht, um sich ganz auf die rund 45-minütige Performance einzulassen. (apa)