Friederike Mayröcker ist gestorben
Friederike Mayröcker ist tot. Österreichs Poetin und Schriftstellerin ist am heutigen Freitag im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben.
Sie zählte zu den am höchsten dekorierten heimischen Schriftstellern, ihr umfangreiches wie eigenwilliges Werk wuchs bis zuletzt jährlich an. Nun ist Friederike Mayröcker, mit ihrer schwarz verhüllten Gestalt und ihrer zettelübersäten Wohnung zur Legende geworden, aus dem Leben geschieden.
Als "bekannt, aber nicht gekannt" bezeichnete ein Literaturwissenschafter einmal die u.a. mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit Stern (2014), dem Großen Österreichischen Staatspreis (1982) und dem Georg-Büchner-Preis (2001) ausgezeichnete Dichterin, die vielfach bewundert, aber nur von wenigen wirklich gelesen wurde. "Ich lebe nur in Sprache", bekannte Mayröcker, der Leben und Literatur eins sind, immer wieder: "Ich kann alles durch meine Augen in mich aufnehmen und aus mir herausschreiben."
Sieben Jahrzehnte lang entstanden so in dichter Folge Prosa- und Lyrikbände. "Das Gedichte Schreiben ist so eine Art Aquarellieren, das Prosa Schreiben ist eine harte Kunst wie eine Skulptur Anfertigen", schilderte Mayröcker, deren zweite Liebe der Bildenden Kunst gehört, einmal in einem APA-Interview. "Es sind zwei wirklich ganz verschiedene Zugehensweisen, und ich fühle das auch im Körper ganz anders."
Der letzte als Lyrik ausgewiesene Band erschien 2012 mit "Von den Umarmungen", die zuletzt erschienenen Werke betitelte der Suhrkamp-Verlag, bei dem Mayröckers Werk seit 1979 erschien, selbst als "prosaische Gedichte und lyrische Prosastücke". So erschien in den vergangenen Jahren die Trilogie "études" (2013), "Cahier" (2014) und "fleurs" (2016). Mit dem Prosaband "Pathos und Schwalbe" spielte die damals 93-jährige Dichterin sehnsüchtig, selbstironisch und beziehungsreich mit Form und Chronologie, mit Innen- und Außenbeobachtung. Im Sommer 2020 veröffentlichte sie das "Proem" "da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete." und trat auch beim Lesefest "O-Töne" im Museumsquartier auf. Bereits damals gab sie bekannt, dass dies ihr letztes Buch gewesen sei. Für das Werk war sie heuer auch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden, ging aber leer aus.
Am 20. Dezember 1924 in Wien als Tochter eines Lehrers und einer Modistin geboren, wurde Mayröcker als Kind wegen ihrer zarten Gesundheit stark von der Außenwelt abgeschirmt. Bereits als 15-Jährige begann sie kurze emotionale Prosatexte zu schreiben. In der Literaturzeitschrift "Plan" veröffentlichte sie 1946 erste Gedichte. Im selben Jahr begann sie als Englischlehrerin an Wiener Hauptschulen zu unterrichten. "Ich war eine schlechte Pädagogin. Ich wollte nie diesen Lehrberuf ausüben, aber meine Eltern haben gemeint, dass das ein für mich geeigneter Brotberuf wäre", erinnerte sich Mayröcker einmal. Ein 1950 begonnenes Germanistik-Studium musste sie abbrechen, weil ihre Lehrerinnentätigkeit die wirtschaftliche Basis der Familie sicherte. Nach einigen vorübergehenden Beurlaubungen konnte sie erst 1969 aus dem Schuldienst ausscheiden und sich ganz dem Schreiben widmen.
1951 stieß Mayröcker zu einem Kreis junger Autoren um Hans Weigel, dem u.a. Ingeborg Bachmann und Hertha Kräftner angehörten. Sie lernte Andreas Okopenko kennen und 1954 Ernst Jandl, der die nächsten Jahrzehnte ihr "Hand- und Herzgefährte" war. Sein Tod im Jahr 2000 erschütterte die Dichterin tief, ihre Trauerarbeit schlug sich in zahlreichen Büchern nieder. Ehe Mayröcker sich experimentelle Techniken der Collage, Montage, Assoziations- und Traumarbeit aneignete, erschien 1956 "Larifari. Ein konfuses Buch" mit Prosaskizzen der vorexperimentellen Phase. 1964 erschien ihr schmaler Gedichtband "metaphorisch", 1966 schließlich brachte Rowohlt die umfangreiche Gedichtauswahl "Tod durch Musen" heraus: "Da habe ich gedacht: Vielleicht ist das wirklich mein Weg", sagte die Dichterin rückblickend. Zwischen 1967 und 1971 verfasste Mayröcker eine Reihe von Hörspielen, vier davon gemeinsam mit Jandl, darunter das 1968 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnete "Fünf Mann Menschen".
Nach den beiden experimentellen Prosabüchern "Minimonsters Traumlexikon" (1968) und "Fantom Fan" (1971) wandte Mayröcker sich vom "experimentellen Purismus" ab, um wieder mehr Erfahrungswirklichkeit in ihre Arbeit zu integrieren. Diesen Einschnitt markiert die Erzählung "je ein umwölkter gipfel" (1973). In der Folge versuchte die Dichterin, eine "neue experimentelle Romanform" zu entwickeln. Mit suggestiver, metaphorisch geprägter Prosa von lyrischem Charakter löste sie herkömmliche Vorstellungen von erzählender Literatur, Geschichte und Identität auf und beeinflusste damit junge Autoren im gesamten deutschen Sprachraum.
Mayröckers große Prosa-Arbeiten - etwa "Die Abschiede" (1980), "Das Herzzerreißende der Dinge" (1985), "mein Herz mein Zimmer mein Name" (1988), "brütt oder Die seufzenden Gärten" (1998), "Und ich schüttelte einen Liebling" (2005) oder "Ich bin in der Anstalt. Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk" (2010) - sind "keine Autobiografie, dennoch authentisch", wie die Autorin es einmal charakterisiert hat. Im Prosaband "Die kommunizierenden Gefäße" heißt es über ihren literarischen Alltag: "Ich beginne den Tag indem ich versuche, jegliche kleinste Verrichtung, jeden Handgriff, zu verbalisieren, das ist 1 Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf (...)".
Für ihr Hörstück "Oper!", das Otto Brusatti im Sommer 2017 im Kurhaus Semmering zur Uraufführung brachte, wurde Mayröcker für das "Hörspiel des Jahres" ausgezeichnet, im selben Jahr erhielt sie auch den mit 10.000 Euro dotierten Günter-Eich-Preis, nachdem sie im Jahr zuvor mit dem ersten Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet worden war.
Mayröckers gesammeltes lyrisches Werk umfasst viele hundert Seiten, 2016 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag unter dem Titel "Benachbarte Metalle" ausgewählte Gedichte aus drei Jahrzehnten. Zuvor kamen unter dem Titel "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogels Greif" die 2004 bis 2009 entstandenen Gedichte auf den Markt. Im letzten dort abgedruckten Text, der aus dem März 2009 stammt, heißt es: "ich / habe ja erst angefangen zu schauen zu sprechen zu schreiben zu weinen". (APA/Red)
Bild: Heide Heide