Amnesty: Kritik an Polizeigewalt
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in einem Gutachten über den Polizei-Einsatz bei der "Mayday"-Demonstration am 1. Mai 2021 Misshandlungsvorwürfe gegen Beamte erhoben. Der Autor Philipp Sonderegger dokumentierte demnach zumindest acht Fälle von "unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung", wie er am Mittwoch in einer Pressekonferenz sagte. Amnesty wiederholte die Forderung nach Einrichtung einer unabhängigen Ermittlungsstelle gegen Polizeigewalt.
Bei der Demonstration unter dem Titel "Kapitalismus ist die Krise! Soziale Kämpfe verbinden!" zogen rund 1.700 Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der U-Bahn Station Ottakring in die Wiener Innenstadt. Der damit einhergehende Polizeieinsatz eskalierte, als Demonstranten einen Zivilpolizisten für einen Rechtsextremisten hielten und versuchten, diesen aus dem Demozug zu drängen. Der Beamte fühlte sich bedroht und setzte Pfefferspray ein. Es folgten wüste Szenen, bei denen es je nach Darstellung zu massiver Gewalt gegen die Polizei bzw. von der Polizei gekommen sein soll. Zwei Personen wurden letztlich festgenommen.
Das Gutachten des Menschenrechtsexperten Sonderegger kommt nun zum Schluss, dass die Einsatzleitung der Polizei "Mitverantwortung an der Eskalation der Versammlung trägt und dass die Misshandlungsvorwürfe nicht - im Sinne der menschenrechtlichen Verpflichtungen und Standards - ausreichend unabhängig, gründlich, rasch, kompetent und transparent untersucht wurden". Es wäre demnach ein "massives Fehlverhalten der Polizei während des Einsatzes" evident und "klare Hinweise auf die Misshandlung" von Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Polizei vorgelegen.
"Der Bericht über die 'Mayday'-Demo bestätigt leider, was wir seit vielen Jahren beobachten: Polizeigewalt in Österreich ist ein massives Problem", betonte die Amnesty International-Juristin Teresa Exenberger. Sie kritisierte auch, dass die Ausübung von rechtswidriger Gewalt für die Beamte in der Regel straflos bleibe. Dies bestätige auch eine Studie von ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences). Demnach führen Misshandlungsvorwürfe gegen Polizistinnen und Polizisten in Österreich fast nie zu einer Anklage, die Ermittlungsverfahren werden meist eingestellt. Der bzw. die Betroffene müsste zudem damit rechnen, von der Behörde wegen Verleumdung angezeigt zu werden.
Das Hauptproblem bei der Aufarbeitung ist Exenberger zufolge, dass die Polizei gegen sich selbst ermittelt. Um dies abzustellen, forderte die NGO erneut eine unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Polizeigewalt. "Die ermittelnde Stelle darf in keiner hierarchischen oder institutionellen Verbindung zur Polizei stehen", so die Juristin. Die Untersuchungsstelle sollte zudem multiprofessionell zusammengesetzt, also etwa auch mit Medizinern, Psychologen und Menschenrechtsexperten besetzt sein.
Exenberger erinnerte die Bundesregierung daran, dass ein Konzept für eine derartige Stelle eigentlich bereits Herbst 2020 hätte vorliegen sollen. "Doch bis dato sind weder konkrete Pläne für die Umsetzung von Seiten der Regierung präsentiert, noch ist die Zivilgesellschaft in die Konzeption dieser Stelle eingebunden worden. Amnesty fordert daher eine rasche Umsetzung des geplanten Projektes sowie einen verbindlichen Zeitplan für die Reform", so die Juristin.
"Diese Analyse von Amnesty International wäre eigentlich Aufgabe der Polizei gewesen. Da das nicht passiert ist, wird das Vertrauen in die Polizei bei Opfern von Misshandlung oder überschießenden Einsätzen ein zweites Mal zerstört. Werden solche Vorfälle hingegen unabhängig und kritisch auch von der Polizei untersucht und dann auch entsprechende Konsequenzen gezogen, kann dieses Vertrauen wiederhergestellt werden", reagierte Georg Bürstmayr, Sprecher der Grünen für Inneres, .
Deshalb haben die Grünen Bürstmayr zufolge schon im Regierungsprogramm festgehalten, dass eine unabhängige, multiprofessionelle Behörde geschaffen werden soll, um Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei rasch und gründlich nachzugehen. Dafür gäbe es auch international schon gute Beispiele. "Vorgespräche, Konzepte und Nachdenkpausen hat es schon gegeben. Jetzt geht es darum, das Vorhaben gemeinsam umzusetzen", sagte Bürstmayr.
"Es ist unerträglich, dass es in Österreich noch immer keine unabhängige Beschwerdestelle gibt und Opfer von Polizeigewalt nur dann eine Chance auf eine Verurteilung der Misshandlung ihnen gegenüber haben, wenn es Videos von den Übergriffen gibt oder sich jemand von außerhalb des Verantwortungsbereichs des Innenministeriums für die Vorwürfe interessiert", sagte Stephanie Krisper, NEOS-Sprecherin für Inneres. Wenn die Stelle "schon im schwarzen Innenministerium angesiedelt wird, muss sie zumindest multidisziplinär besetzt werden. Sonst droht wieder einmal das, was in Österreich bei angeblichen Reformen so oft passiert: Nur schöner Schein statt einer echten Verbesserung", so Krisper.