Lueger-Denkmal: Kunst, Kontext und Kritik
Vom Brunnen bis zur Büste, von der Gedenktafel bis zum Leuchtobelisken: Der von 1897 bis 1910 amtierende und heute ob seines Antisemitismus umstrittene Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844-1910) ist im Stadtbild deutlich präsenter, als man meinen würde. Rund um die Diskussion zum Denkmal am Dr. Karl-Lueger-Platz haben Nicole Six und Paul Petritsch nun ein "diskursives Schaulager" geschaffen, das am heutigen Donnerstag eröffnet - und sogleich heftig diskutiert - wurde.
Die nun 39 Meter lange, 5 Meter breite und 11 Meter hohe Holzkonstruktion, die direkt vor dem seit Jahren um Kontextualisierung ringenden Denkmal am Ring aufgebaut wurde und dort unter dem Titel "Lueger temporär" bis zum Herbst 2023 verbleiben soll, versammelt im Stadtbild gefundene Artefakte der Lueger-Würdigung. In bunten Farben haben die Künstlerin und der Künstler sie in ihren Umrissen in Originalgröße auf einem Holzrahmen befestigt, der sich schräg über den Platz ausbreitet. Für Martina Taig, Geschäftsführerin von KÖR - Kunst im öffentlichen Raum, ist das Werk eine "treffende und durchdachte Arbeit, die zur Debatte anregt, wie wir heute mit historisch belasteten Denkmälern umgehen und was der öffentliche Raum dafür leisten kann", wie sie bei der Eröffnung unterstrich.
Six und Petritsch haben für KÖR-Kuratorin Cornelia Offergeld einen "klaren, ordnenden Blick in die Diskussion eingebracht. Hier wird nicht im geringsten verehrt, sondern eine Grundlage für Diskussion geschaffen". Wie sie sprachen sich auch Bezirksvorsteher Markus Figl (ÖVP) und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) gegen eine Abtragung des Denkmals aus. "Über Leerstellen kann man nicht mehr reden", so Kaup-Hasler. Man solle umstrittene Denkmäler daher "nicht wegräumen", sondern Gelegenheiten schaffen, "in der Vielfalt der Positionen" gemeinsam über Geschichte, Gegenwart und Zukunft nachzudenken. "Ich will keine gereinigte Stadt haben. Das wäre Geschichtsverwässerung", so die Stadträtin.
Eine dieser Positionen wurde am Rande der Eröffnung von Vertreterinnen und Vertretern der Jüdischen österreichische Hochschüler:innen repräsentiert, die mit Plakaten forderten: "Antisemitismus thematisieren - nicht bunt dekorieren". Die Installation verweise "in keiner Weise und ganz bestimmt nicht (...) auf die Problematik der antisemitischen Geschichte Wiens und Luegers", heißt es dazu in einer Aussendung. "Vielmehr wird der Platz erneut mit den 'Errungenschaften' Luegers versehen und damit die Ehrung seines politischen Wirkens nicht beendet, sondern mit bunten Farben geschmückt und der Antisemitismus damit verdeckt."
Auch die FPÖ meldete sich kritisch zu Wort: Kaup-Hasler habe sich "von linken Aktivisten hertreiben" lassen und werfe 100.000 Euro "beim Fenster raus", so der Kultursprecher der Wiener FPÖ, Stefan Berger. Der Freiheitliche betonte weiters, "dass mit der Person Lueger, dessen Antisemitismus von niemandem in Frage gestellt wird, im historischen Kontext durchaus sensibel umgegangen werden muss".
Die Wiener Grünen orten unterdessen "eine weitere Überhöhung der Figur Lueger": "Wir hätten jetzt im Jahr vor der finalen Neugestaltung des Lueger Platzes die Chance, eine öffentliche Debatte zur Lueger Statue zu führen. Stattdessen steht hier ein riesiges Objekt, das quasi die Recherche-Ergebnisse der Künstler:nnen visualisiert", so Kultursprecherin Ursula Berner. Lueger werde mit der neuen Installation nochmals größer gemacht.
Während es sich bei der Installation um eine temporäre Auseinandersetzung handelt, die auch von einem Begleitprogramm flankiert wird, soll demnächst die Ausschreibung des Wettbewerbs für die permanente künstlerische Kontextualisierung starten, die ebenfalls von KÖR organisiert und mit einem Budget von 500.000 Euro ausgestattet wird. Zur Teilnahme sollen fünfzehn nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen werden. Die Kür des Siegerprojekts ist für das Frühjahr 2023 geplant. (apa)