Titanenwurz sorgt für Riesenandrang
Gut 30 Minuten Wartezeit gibt es Montagnachmittag vor dem Botanischen Garten in Wien. Die Titanenwurz steht in voller Blüte, das wollen sich viele Wiener*innen nicht entgehen lassen. Schließlich blüht das gigantische Gewächs frühestens alle drei Jahre. „Ich hab mich immer schon gefragt, wie das Ding wirklich riecht. Dafür stelle ich mich gerne eine halbe Stunde an“, berichtet etwa ein Pflanzenfreund gegenüber W24. Via Youtube-Livestream können derzeit übrigens alle Interessierten dabei sein.
Die Titanenwurz zählt zu den größten Blumen der Welt. Bevor heute Abend das Naturschauspiel um das im Lateinischen Amorphophallus titanum - auf Deutsch übersetzt "gigantischer unförmiger Penis" - benannte Gewächs endet, gilt es für Biolog*innen noch Fragen rund um ihre komplexe Fortpflanzungsstrategie zu klären.
Zu Beginn der Blüte (Bild: Rudolf Hromniak)
Die Titanenwurz ist auf Sumatra (Indonesien) heimisch und lockt mit ihrem riesigen Blütenstand winzige Insekten an, die als Bestäuber dienen. Der große Kolben an der Spitze des Blütenstands erwärmt sich dabei und setzt einen Geruch frei, der an verwesende Kadaver erinnert. Genau das ist noch heute in Wien-Landstraße zu beobachten und zu riechen. Das jetzt in Wien blühende Exemplar der aus der Familie der Aronstabgewächse kommenden Pflanze stand zuvor im Botanischen Garten der Universität Salzburg, wo es 2019 mit einem über zwei Meter hohen Blütenstand geblüht hat. Die riesige Knolle der Pflanze hat seit ihrem Umzug nach Wien ihr Gewicht unter der Obhut von David Prehsler und Kollegen von der "Core Facility Botanischer Garten" auf 80 Kilogramm verdoppelt.
Während der kurzen Zeit der Blüte führen Expert*inen nun verschiedene Untersuchungen zur Bestäubungsbiologie der riesigen Blume durch, wie Florian Etl von der Abteilung für Strukturelle und Funktionelle Botanik der Uni Wien am Montag im Gespräch mit der APA erklärte. Die Strategie der Titanenwurz ist es höchstwahrscheinlich, mit dem bestialischen Gestank Aaskäfer, die ihre Eier in Kadavern ablegen, anzulocken, sie rund 24 Stunden im unteren Teil der riesigen Blüte festzusetzen und dann als Träger ihrer Pollen wieder in die Umwelt zu entlassen. Dazu gebe es wenige Beobachtungen aus Sumatra.
Expert*innen gehen auch davon aus, "dass es eine Fallenblume ist", wie auch einige andere Aronstab-Gewächse, sagte Etl. Dazu zählen übrigens auch der in Österreich heimische Gefleckte Aronstab oder Zimmerpflanzen wie Philodendron oder Calla. Die Fallen-Theorie wurde für die Titanenwurz allerdings "noch nie wirklich bewiesen". Dazu muss gezeigt werden, dass sich auf der Innenseite der kesselartigen Struktur Rutschflächen befinden. Um zu beweisen, dass es sich um eine "Kesselfallenblume" handelt, entnahmen die Botaniker am Sonntag und Montag Schnitte von dem Kessel, dem prominenten Stab in der Mitte sowie den Blüten, die dann unter dem Elektronenmikroskop analysiert werden. Außerdem dokumentieren sie, wie es auf der Pflanze ausgesetzten Käfern ergeht.
Blütenstand am Montag (Bild: Stefan Soher)
Gerade gestern - dem Tag mit dem stärksten Geruch - ließen sich womöglich beispielsweise rutschige Wachse finden, die bei Kontakt mit Insektenbeinen quasi abreißen, und die Tiere von der Gleitfläche am Kesselrand tiefer hinunter zu den Tausenden kegelförmigen weiblichen Blüten befördern. Der erste Tag der Blüte könne als "weiblicher Tag" bezeichnet werden, an dem sich die Pflanze bemüht, besonders zu stinken und damit Käfer anzulocken, die hoffentlich männliche Pollen von Artgenossen tragen.
Am heutigen Montag folgt der "männliche Tag", an dem die Pollen der aktuell blühenden Titanenwurz einen Träger suchen. Daher müssen die Aaskäfer gefangen bleiben. Die Pollen werden die Wiener Forscher*innen dann sammeln und ebenso analysieren. Sie lassen nämlich auch Rückschlüsse auf den Bestäuber zu. Nach rund 24 Stunden in der Blüte können die Käfer dann wieder entkommen und sich auf den Weg zu einer anderen solchen, synchronisiert blühenden Pflanze machen. Diese sind jedoch eher selten in Sumatras Wäldern, was erklärt, warum sie sich derartige Mühe gibt, den Aasgeruch in der restlichen Umgebung zu toppen.
4 Euro Eintritt
Nach dem Ende der Wiener Blüte, die zu Ehren des Wiener Botanikers und Erforschers der Aronstabgewächse Heinrich Wilhelm Schott (1794-1865) auf den Namen "Willi" getauft wurde, heute Abend sei erst wieder in rund drei Jahren mit einem solchen Ereignis zu rechnen, erklärte Etl. Bisher habe die Titanenwurz im Botanischen Garten für regen Besucher*innen-Andrang gesorgt, was heute vermutlich auch so weiter geht. Das dortige Kalthaus ist noch bis 23.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet vier Euro (nur Bargeld). (apa/vk)