91-Jährige wegen Mordes verurteilt
"Ich wollte eigentlich Selbstmord verüben. Ich konnte ihn ja nicht zurücklassen", hat am Freitag eine 91-Jährige am Landesgericht für Strafsachen erklärt, wo sie wegen Mordes und Brandstiftung zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Die Hochbetagte hatte in der Nacht auf den 21. Juli 2022 ihre Wohnung in Wien-Simmering angezündet und dabei bewusst den Tod ihres demenzkranken und bettlägerigen Ehemannes in Kauf genommen. Der 93-Jährige starb an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Während die Witwe ihre Strafe annahm, gab Staatsanwältin Julia Kalmar vorerst keine Erklärung ab. Die 91-Jährige wurde nach der Verhandlung zurück in die Justizanstalt Wilhelmshöhe gebracht, wo es eine Abteilung für Seniorinnen und Senioren und bei Bedarf eine geriatrische Versorgung gibt.
Die Angeklagte und ihr Mann, den die gelernte Schneiderin im Alter von 23 geheiratet hatte, hatten 60 Jahre in der Wohnung in der Braunhubergasse gelebt. 2016 wurde bei ihrem Ehemann Demenz diagnostiziert, sein Zustand - auch und vor allem hinsichtlich seiner Mobilität - verschlechterte sich von diesem Zeitpunkt an. Ab 2019 konnte er nicht mehr die Wohnung verlassen.
"Sie war überfordert mit der gesamten Situation und hat beschlossen, sich umzubringen", sagte die Staatsanwältin eingangs der Verhandlung. Im Glauben, ihr Mann könne ohne sie nicht leben, habe sie den Entschluss gefasst, "ihn mitzunehmen".
Die Frau legte Kleider, Toilettepapier und Stofftiere an drei verschiedenen Stellen zu Haufen zusammen, übergoss diese mit Wundbenzin und zündete sie an. Indem sie danach die Balkontür öffnete, fachte sie das Feuer infolge der rapiden Sauerstoffzufuhr an und flüchtete auf den Balkon, von wo sie um 2.44 Uhr von der Feuerwehr mittels einer Drehleiter gerettet wurde. Für den Mann kam dagegen jede Hilfe zu spät.
"Es war ein Akt der Liebe, nicht der Boshaftigkeit", meinte Verteidiger Philipp Oberdorfer. Seine Mandantin habe das Feuer "bewusst so gelegt, dass er nicht verbrennt". Die Frau habe wenige Stunden vor der inkriminierten Handlung ihre Hand plötzlich nicht mehr bewegen können und sei der tiefen Überzeugung gewesen, sich nun nicht mehr um ihren Mann kümmern zu können. Kinder gab es keine, auch eine anderweitige Unterstützung war nicht vorhanden.
Es sei eine gute Ehe gewesen, "das kann man wohl sagen", meinte die Angeklagte, die einen rüstigen und vor allem geistig agilen Eindruck machte. Ihr Mann habe sie zu Beginn "Schatzi" und "Hasi" genannt, dann sei er leider dement geworden und habe sich "gehen lassen". Auf die Frage der vorsitzenden Richterin, ob sie ihn geliebt habe, erwiderte die 91-Jährige: "Ja, schon. Sonst hätte ich ihn ja betrogen."
Mit ausschlaggebend für die Verzweiflung, die die betagte Frau im vorigen Sommer überkam, dürften Probleme mit der Hausverwaltung und den Nachbarn gewesen sein. So war der Aufzug längere Zeit außer Betrieb und wurde nicht mehr repariert. Das Ehepaar lebte im fünften Stock.
Auf die Frage, wie sie heute zu der ihr angelasteten Tat stehe, hatte die Angeklagte nach ihrer Festnahme den Kriminalisten erwidert: "Ich würde es genau so wieder machen." Der Schuldspruch der Geschworenen fiel in beiden Anklagepunkten einstimmig im Sinne der Anklage aus. Mildernd waren neben der bisherigen Unbescholtenheit die herabgeminderte Dispositionsfähigkeit der 91-Jährigen, die laut Gerichtspsychiater Peter Hofmann im Tatzeitpunkt aber voll zurechnungsfähig war. Bei einem Strafrahmen von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang erschien dem Schwurgericht die verhängte zwölfjährige Freiheitsstrafe täterinnen- und schuldangemessen. (APA/Red)