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Antisemitismus: Krisen befeuern Verschwörungsmythen Antisemitismus: Krisen befeuern Verschwörungsmythen
Wissenschaft

Antisemitismus: Krisen befeuern Verschwörungsmythen

Das besagt eine im Parlament vorgestellte Studie.
W24 Redaktion
Mittwoch, 19. April 2023
Verfasst am 19.04.2023 von W24 Redaktion

Die Krisen der vergangenen Jahre haben antisemitische Verschwörungsmythen befeuert. Das belegt der am Dienstag präsentierte Antisemitismusreport des Parlaments. So finden 36 Prozent der Befragten in einer IFES-Studie, dass Juden die "internationale Geschäftswelt" beherrschten. 19 Prozent stimmten der Aussage, Juden hätten in Österreich zu viel Einfluss, zu. 18 Prozent sehen "jüdische Eliten" für die aktuellen Preissteigerungen verantwortlich.

Zum dritten Mal - nach 2018 und 2020 - erhob IFES im Auftrag des Parlaments die Einstellung gegenüber Jüdinnen und Juden. Für die aktuelle Studie wurden von Mitte Oktober bis Ende November des vergangenen Jahres 2.000 Personen ab 16 Jahren telefonisch und online befragt. Auch diesmal wurde die Gesamtstichprobe aufgestockt, indem fast 1.000 in Österreich lebende Menschen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund in einer eigenen Stichprobe berücksichtigt wurden.

Das Ergebnis: Teilweise Jahrtausende alte Verschwörungsmythen haben wesentlichen Einfluss auf antisemitische Einstellungen. Dabei müssen diese nicht einmal per se etwas mit dem Judentum zu tun haben. Aber auch andere Faktoren gibt es. So drücken Menschen mit höherem Bildungsgrad deutlich weniger Zustimmung zu antisemitischen Aussagen aus. Auch das Basiswissen über Jüdinnen und Juden ist entscheidend - etwa zur Anzahl der im Holocaust Ermordeten.

Verschwörungsmythen wuchern auch nach wie vor in Bezug auf den Holocaust. 36 Prozent fanden in der IFES-Studie, dass Juden heute "Vorteile" aus der Verfolgung während des Nationalsozialismus ziehen wollten. Immerhin 19 Prozent stimmten der Aussage zu: "Es ist nicht nur Zufall, dass die Juden in ihrer Geschichte so oft verfolgt wurden; zumindest zum Teil sind sie selbst schuld daran." Und 11 Prozent fanden, dass die Berichte über Konzentrationslager und Judenverfolgung übertrieben seien.

Weit mehr antisemitische Einstellungen fanden sich in der Aufstockungsgruppe mit Migrationshintergrund, wobei Projektkoordinator Thomas Stern betonte, dass es sich hier um keinen "monolithischen Block" handle. Vor allem der israelbezogene Antisemitismus sei hier stärker vertreten. 62 Prozent meinten etwa, dass sich Israelis in Bezug auf Palästinenser nicht anders verhalten würden als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg.

Auch Ereignisse wie die Coronapandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine samt ihren Folgen hätten sich auf antisemitische Vorurteile ausgewirkt. "Man könnte sagen, auf Krise folgt Antisemitismus", resümierte Stern. Studienleiterin Eva Zeglovits hatte aber auch Positives zu berichten. So hätten jüngere Befragte von 16 bis 25 Jahren Antisemitismus durchaus in ihrem Umfeld identifizieren können - vor allem in sozialen Netzwerken, aber auch in deren eigenem Bekanntenkreis und in der Schule.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der auch Auftraggeber der Studie ist, bezeichnete den Antisemitismus ein weiteres Mal als Gefahr für die Demokratie. Es handle sich dabei auch um kein Phänomen politischer Randgruppen, sondern werde dort schlicht sichtbar. "Wir brauchen eine Vielzahl von Instrumenten und ein neues Denken", plädierte Sobotka. Auf die Frage, warum seine Partei in Niederösterreich dann mit der FPÖ regiere, antwortete er lediglich, dass jede Bewegung ihre Vergangenheit aufarbeiten müsse.

"Die Ergebnisse sind erschreckend, aber nicht überraschend", reagierte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) gegenüber der APA. Die Studie sei "ein wichtiges Element im Sichtbarmachen des Antisemitismus". Dass ein Drittel der Österreicher findet, dass Juden und Jüdinnen einen Vorteil aus der Nazi-Zeit zu ziehen versuchen, komme einer Verhöhnung gleich. "Es zeigt aber vor allem, dass es bessere Wissensvermittlung braucht - Wissen um die Shoah und Wissen über das Judentum selbst", meinte Deutsch.

Gefahr geht laut dem IKG-Präsidenten aber nicht nur von Rechtsextremisten und Islamisten aus. "Antisemitismus gibt es auch in der Mitte der Gesellschaft, das zeigen die Daten eindringlich." Umso wichtiger sei es, "dass Kellernazis nicht politisch legitimiert werden, wie zuletzt durch eine ÖVP-Zusammenarbeit mit der FPÖ in Niederösterreich". Die stärkere Anfälligkeit für Judenhass unter türkisch- und arabischsprachigen Österreichern verdeutliche abermals, dass weder die Politik noch die Zivilgesellschaft auf diesem Auge blind sein dürfen.

Für Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zeigt die Studie des Parlaments auf, "dass Antisemitismus auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt". Daher müssten neue Konzepte für die Erinnerungskultur geschaffen werden. Der Antisemitismusbericht zeige erneut, "wie wichtig der Kampf gegen jede Form des Antisemitismus noch immer ist", meinte Eva Blimlinger, Antisemitismus- und Rechtsextremismussprecherin der Grünen. Auch die SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz, sowie NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter zeigten sich besorgt über die Ergebnisse. (APA)