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Inflation befeuert Überschuldung Inflation befeuert Überschuldung
Wirtschaft

Inflation befeuert Überschuldung

Die Schuldnerberatung verzeichnet 2022 um 10 Prozent mehr Erstberatungen - Tendenz steigend.
W24 Redaktion
Dienstag, 02. Mai 2023
Verfasst am 02.05.2023 von W24 Redaktion

Die überbordende Teuerung hat vielfach Mehrausgaben von mehreren Hundert Euro pro Monat ausgelöst. Bei den Schuldenberatungsstellen stiegen die Erstkontakte 2022 um 10 Prozent, wie der aktuelle Schuldenreport zeigt. Die Überschuldung betrug im Schnitt 61.430 Euro. Betroffen sind nicht nur einkommensschwache Menschen. "Die Überschuldung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen", so der Chef der ASB Schuldnerberatungen GmbH, Clemens Mitterlehner, in einer Pressekonferenz.

"Menschen sagen immer öfter: 'Ich habe eigentlich keinen Fehler gemacht und trotzdem bin ich in der Schuldenberatung", berichtete der asb-Geschäftsführer am Dienstag vor Journalisten in Wien. Die Zahl der Erstberatungen im ersten Quartal 2023 ging seinen Angaben zufolge weit über das Niveau im abgelaufenen Jahr hinaus. "Durch die gestiegenen Kosten und erhöhten Kreditzinsen kann es mittlerweile finanziell auch für jene eng werden, die sich das Leben bisher gut leisten konnten", strich Mitterlehner hervor.

Die Hauptursache für Überschuldung sei Arbeitslosigkeit beziehungsweise Einkommensverminderung. Bei einem Arbeitsplatzverlust reduzieren sich die Einkommen "auf einen Schlag auf 55 Prozent" und die Klientinnen und Klienten hätten keine Reserven, auf die sie zugreifen könnten. Mitterlehner plädierte im Namen der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen für eine Anhebung der Nettoersatzrate bei Arbeitslosigkeit auf 70 Prozent. Insgesamt sei die Arbeitslosigkeit in Österreich derzeit relativ gering - in der Beratung seien aber fünfmal häufiger arbeitslose Menschen als in der Gesamtbevölkerung.

Neben einer Anhebung der Nettoersatzrate bei Arbeitslosigkeit wäre es laut asb-Chef nötig "das Existenzminimum zumindest an die Armutsgefährdungsschwelle von zuletzt 1.371 Euro monatlich nach oben zu setzen. 2022 lag das Existenzminimum bei 1.030 Euro pro Monat. "Dieser Betrag war schon vor den Teuerungen weitaus zu gering", heißt es im aktuellen Schuldenreport.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) verteidigte die bisher gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung zur finanziellen Abfederung der extrem hohen Inflation. "Es ging darum, rasch zu handeln", hielt er der Kritik entgegen, dass diverse Einmalzahlungen an alle Haushalte nach dem Gießkannenprinzip nicht "sozial treffsicher" genug gewesen sein. Insgesamt seien dafür bisher 30 Mrd. Euro aufgewendet worden. "Hätten wir das nicht gemacht, würde sich die soziale Situation deutlich anders darstellen", so der Minister.

Die Zahl der eröffneten Privatkonkurse ging 2022 laut Schuldenreport gegenüber dem Jahr davor um 13,5 Prozent auf 8.176 nach oben, die Schuldenberatungen begleiteten 71 Prozent davon. Die Tendenz bei den Zahlungsausfällen ist weiter steigend. "Ein erster Anstieg ist bereits jetzt zu verzeichnen, teilweise hatten Schuldenberatungen Anfang 2023 eine Verdoppelung der Erstberatungen im Vergleich zu Anfang 2022", berichtete Mitterlehner. Das Risiko für Überschuldung und Armut steige - die Situation überschuldeter Menschen werde durch die Inflation weiter verschärft. "Erfahrungsgemäß werden auch die massiven Teuerungen erst zeitversetzt in der Schuldenberatung so richtig spürbar werden", hielt der asb-Chef fest.

Menschen, die in die Schuldenberatung kommen, haben laut Schuldenreport monatlich durchschnittlich 1.400 Euro zur Verfügung. Bei fast der Hälfte sei die Pflichtschule die höchste abgeschlossene Ausbildung. Im abgelaufenen Jahr wurden rund 56.000 Personen von einer der zehn staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich unterstützt.

Besonders problematisch wird es, wenn sich die Menschen selbst einen Privatkonkurs nicht mehr leisten können. Denn dafür müssen alle Ausgaben mit den Einnahmen gedeckt werden können und keine neuen Schulden gemacht werden. Der asb-Chef plädierte dafür, für Private die Möglichkeit einer Entschuldung innerhalb von drei Jahren aufrechtzuerhalten. Hier droht eine Anhebung auf fünf Jahre. Für Unternehmer bleibt es bei drei Jahren. "Da sind wir in Gesprächen - es kann nicht sein, dass Unternehmer bessergestellt sind als private Schuldner", sagte der Sozialminister.

Menschen mit geringen Einkommen wenden laut Rauch den Großteil ihres Haushaltseinkommens für Wohnen, Energie und Lebensmittel auf. Gerade in diesen Bereichen seien die Preise besonders stark gestiegen - oft wesentlich massiver als die Inflation. Im März lag der allgemeine Preisauftrieb beispielsweise bei 9,2 Prozent, Lebensmittel verteuerten sich aber um 14,5 Prozent. Das will sich der Sozialminister näher ansehen.

"Deshalb haben Werner Kogler (Vizekanzler und Grünen-Chef, Anm.) und ich einen Lebensmittelgipfel einberufen, um festzustellen, wie stellt sich die Situation dar", erklärte Rauch. Seine Vorstellungen werde er "nicht über die Medien ausrichten", sagte er auf Nachfrage zu handfesteren Details. "Zielsetzung muss sein, dass die Preise auf ein Niveau kommen, das darstellbar ist." Am 8. Mai sind Vertreter der Lebensmittelketten und der Landwirtschaft sowie Sozialpartner und Wirtschaftsforscher zu einem Gespräch gebeten, in dem über die hohen Preise beraten wird. (APA)