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Unwetter: Renaturierung verringert Hochwassergefahr Unwetter: Renaturierung verringert Hochwassergefahr
Umwelt

Unwetter: Renaturierung verringert Hochwassergefahr

Laut Expert*innen würden intakte Flusslandschaften und Auen bei Extremereignissen viel Wasser aufnehmen und Siedlungen schützen.
W24 Redaktion
Freitag, 20. September 2024
Verfasst vor 2 Stunden von W24 Redaktion

Renaturierungsmaßnahmen können die Auswirkungen von Extremereignissen wie der aktuellen Hochwasserkatastrophe stark vermindern, sagten Experten im Gespräch mit der APA. Sie bezeichneten es als "Glücksfall", dass das EU-Renaturierungsgesetz mithilfe der Zustimmung Österreichs Mitte August in Kraft getreten ist. Intakte Flusslandschaften, Auen und Moore würden nämlich viel Wasser aufnehmen und dadurch bei starken Niederschlägen Ortschaften schützen.

"Weil sich Flüsse mit Mäandern (Schleifen, Anm.), Seitenarmen und Auen dort gut ausbreiten können und mehr Versickerungsflächen haben, kommt weniger Wasser tatsächlich in den Siedlungen an", erklärte Katharina Rogenhofer vom Kontext-Institut für Klimafragen. Wo bereits Renaturierungsprojekte umgesetzt wurden, habe man auch in dieser Extremregensituation "nicht so viel abbekommen", beispielsweise an der Maltsch (einem Zufluss der Moldau in Oberösterreich und Tschechien, Anm.). Auch die Flussauen der March in einem von der Naturschutzorganisation WWF betriebenen Reservat in Niederösterreich seien im Moment geflutet, berichtete Joschka Brangs vom WWF Österreich: "Da sieht man einfach, wie viel Wasser quasi dort fortgeblieben ist und nicht weiter flussabwärts läuft, wo es zum Problem wird."

Schon den kleinsten Bächen und Flüssen sollte man in den Oberläufen ausreichend Überschwemmungsfläche zur Verfügung stellen, sagte Gabriele Weigelhofer vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. Dann würden Starkregenereignisse bereits dort abgepuffert. "Wenn überall ein bisschen zurückgehalten wird, kommt in Summe weniger in den großen Gewässern an und dann werden auch dort die Hochwässer geringer ausfallen", so die Expertin. "Leider stehen bei der Raumplanung oft andere Nutzungen wie für die Landwirtschaft und Siedlungen im Vordergrund". Die Hydrologie, also der Gewässerbau, sollte hier stärker berücksichtigt werden. "Insofern macht es auch Sinn, den Naturschutz aus dem Blickwinkel der Sicherheit zu sehen und entsprechend politisch zu priorisieren", ergänzte Brangs.

"Eine naturnahe Au hat auch den Vorteil, dass hier Wasser für extreme Trockenzeiten gespeichert ist", so Weigelhofer: "Man mildert also beide Extreme ab", nämlich zu viel und zu wenig Nässe. Außerdem schaffe man Lebensraum für zahlreiche Tiere, wovon auch die Landwirtschaft profitiert, denn durch eine vielfältige Organismenschar würden Schädlinge im Zaum gehalten. "Natürlich sind solche Gebiete auch sehr schöne Naherholungsräume für die Leute, die dort leben", erklärte Brangs. "Das ist das Schöne an diesen Renaturierungsmaßnahmen, dass man auf unterschiedlichste Arten davon profitiert". Die Menschen hätten dann ständig eine schöne Naturlandschaft vor der Haustüre, anstatt einem Hochwasser bei Starkregen.

Dem Argument von Bundeskanzler Karl Nehammer und der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP), dass 96 beziehungsweise 94 Prozent der Fläche in Niederösterreich nicht verbaut sind, und es trotzdem zur Katastrophe kam, konnten die Experten überhaupt nichts abgewinnen. "Das Problem an dieser Aussage ist, dass sie suggerieren soll, eigentlich sei alles gut, und das ist es definitiv nicht", sagte Brangs. "Das sehen und spüren ja vor allem die Menschen vor Ort". "Man hat voriges Wochenende einfach gesehen, dass es wirklich ein großes Problem gibt", argumentierte Rogenhofer.

Das Problem heißt vor allem Bodenverdichtung, erklärte Weigelhofer. Neben der viel diskutierten exorbitanten Bodenversiegelung in Österreich durch das Zubetonieren von Flächen für Siedlungen, Einkaufszentren und andere Gewerbebetriebe sowie Straßen sind die landwirtschaftlichen Flächen durch das Bearbeiten mit sehr schweren Gerätschaften so stark verdichtet, dass sie fast kein Wasser aufnehmen. Es fließt auf Ackerboden schnell ab und wird nicht gespeichert. "Auch auf Wiesen rinnt Wasser oberflächlich ab, weil dort der Boden von Mähmaschinen ebenfalls verdichtet wird", berichtete die Expertin. Dasselbe gilt für Forst-Monokulturen, wo ebenfalls schwere Maschinen eingesetzt werden. "Intakter Boden saugt Wasser hingegen auf wie ein Schwamm", so Brangs. In der Land- und Forstwirtschaft sollte man demnach darauf achten, naturnah zu bewirtschaften und die Versickerungsfähigkeit des Bodens zu erhalten oder wiederherzustellen. Dann würde man auch in Dürrezeiten von dem dort gespeicherten Nass profitieren.

Laut einer aktuellen Studie sind die Menschen hierzulande fast unabhängig ihrer politischen Präferenzen mit großer Mehrheit Befürworter von Renaturierungsmaßnahmen. Das Marktforschungsinstitut "marketagent" befragte anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahl für das Kontext Institut mehr als tausend Wahlberechtigte (zwischen 9. und 16. September im Alter von 16 und 75 Jahren) online. Mehr als zwei Drittel (71 Prozent) der FPÖ-Wähler-Gruppe stimmte etwa zu, dass die nächste Regierung wegen der häufiger werdenden Extremereignisse mehr Anpassungsmaßnahmen wie Flussrenaturierungen ergreifen muss. Bei den ÖVP Wählern waren es 87 Prozent, bei jenen der SPÖ 93 Prozent, und bei den Grün-Wählern fast alle (98 Prozent).

Dem EU-Renaturierungsgesetz stimmte Leonore Gewessler (Grüne) trotz massiven Widerstands der ÖVP - vor allem des Landwirtschaftsministeriums von Minister Norbert Totschnig (ÖVP) - in Luxemburg zu. Die Umweltministerin wurde deshalb von der Kanzlerpartei angezeigt, doch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sah keinen Anfangsverdacht und stellte das Verfahren ein. Nehammer hatte auch unmittelbar nach Gewesslers Zustimmung in der EU gegenüber dem damaligen belgischen Ratsvorsitz behauptet, diese wäre rechtswidrig. "Auf unserer Seite wird vom anwesenden Minister im Raum abgestimmt, so läuft das ab", hieß es lapidar von Seiten der Belgier. (APA)