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Der letzte Tee von Elisabeth Langer Der letzte Tee von Elisabeth Langer
Chronik

Der letzte Tee von Elisabeth Langer

Seit September 2015 schenkte sie Flüchtlingen Tee aus, nun übergibt Elisabeth Langer ihr Projekt in andere Hände.
Siniša Puktalović
Freitag, 27. April 2018
Verfasst am 27.04.2018 von Siniša Puktalović

Elisabeth Langer dreht den Zapfhahn von einem großen Einkochautomaten langsam auf. Sie hält einen Pappbecher drunter und füllt diesen mit Schwarztee auf. „Egal zu welcher Jahreszeit, einen Tee in der Früh zu sich zu nehmen, das freut die meisten“, sagt sie. Mit dem Tee in der Hand geht sie in Richtung eines jungen Mannes, der am Hernalser Gürtel vor einem Gebäude wartet.

„Hallo, möchtest du einen Tee“, fragt ihn Elisabeth. Dankend nimmt dieser das Getränk an. Elisabeth fragt ihn, wieso er hier heute stehe. „Ich warte hier, um meinen Aufenthalt in Österreich zu verlängern“, antwortet der junge Afghane namens Amar*. Er wirkt etwas nervös, aber die Worte und die Anwesenheit von Elisabeth scheinen ihn zu beruhigen. Sie erklärt ihm, dass kurz vor acht Uhr Beamte aus dem Gebäude rauskommen und Nummern verteilen werden.

„Ich weiß“, antwortet Amar. „Ich war hier schon vor ein paar Monaten mit einem Freund, um für ihn zu übersetzen, da haben Sie uns auch schon Tee ausgeschenkt.“ Diesmal ist er hier, um seinen subsidiären Schutz zu verlängern. Mit hier ist die Regionaldirektion des Bundesamtes für Fremdenwesen und Aysl am Hernalser Gürtel gemeint. Das ist der einzige Ort in Wien, wo Asylwerber ihren Aufenthaltstitel verlängern, oder ihre Ausweise ausstellen lassen können.

Amar hat vor einem Jahr das Aufenthaltsrecht zugesprochen bekommen. Dieses wird zunächst auf ein Jahr ausgestellt. Subsidiären Schutz erhalten Personen, deren Asylantrag zwar mangels Verfolgung abgewiesen wurde, aber deren Leben oder Unversehrtheit im Herkunftsstaat bedroht wird. Sie sind daher keine Asylberechtigten, erhalten aber einen befristeten Schutz vor Abschiebung.

Auf die Frage, ob er Angst habe, dass heute sein Aufenthalt nicht verlängert wird, antwortet er entspannt: „Ich bin ein unbescholtener Bürger mit Ambitionen. In meinem Heimatland ist es derzeit viel zu unsicher. Deswegen gibt es keinen Grund, warum es nicht verlängert werden soll.“

Elisabeth begegnet beinahe täglich Menschen wie Amar. „Ich stehe drei bis vier Tage die Woche zwischen sieben und acht Uhr früh hier und verteile an die Wartenden Tee, da bekommt man sehr vieles mit“, sagt sie.

Langer macht diese Freiwilligenarbeit schon seit September 2015. Während der Hochphase der „Flüchtlingskrise“ im Sommer 2015 ist ihr während der Heimfahrt mit der U6 zwischen den Stationen Josefstädter Straße und Alser Straße aufgefallen, dass viele Menschen vor dem Gebäude der Polizei warten.

„Ich habe mich dann dazu entschieden, mit einer Teekanne im Gepäck und ein paar Pappbechern, die Menschen vor Ort zu versorgen“, so Langer. Gesagt, getan. Am nächsten Morgen stand sie früh auf. „So gegen 6 Uhr“, erinnert sie sich. Sie kochte Tee und kam vor die Regionaldirektion.

„Ich habe den Wartenden Tee ausgeschenkt und sie waren sehr glücklich darüber, vor so einem stressigen Termin einen freundlichen Menschen zu sehen.“ Von da an machte sie das an jedem Tag zwischen Montag und Freitag. Sie erzählte darüber in ihrem Freundeskreis und bekam umgehend Hilfe.

„Ein Arzt hat mir einige Teekannen gespendet und so ging ich schon bald mit zwei Trolleys, gefüllt mit 20 Teekannen, zum Hernalser Gürtel.“ Damals standen täglich zwischen 300-400 Menschen vor der Behörde. Meistens noch mit kaum Deutschkenntnissen. Die Beamten waren anfänglich auch nicht gerade freundlich gegenüber den Flüchtlingen. „Viele haben mir gesagt: ‚endlich ein freundliches Gesicht‘. Und genau diese Aussagen haben mich gestärkt weiter zu machen.“

Als sie merkte, dass sie auch hin und wieder mal eine Auszeit braucht, gründete sie die Facebook-Gruppe „Tee für Refugees“. Schon bald haben sich viele Freiwillige bei ihr gemeldet und sie dabei unterstützt.

Auch Veronika Fischer kam zur Gruppe. Sie jedoch über einen anderen Weg. „Seitdem ich in der Pension bin, habe ich mich in der Pfarre Breitenfeld engagiert. Der Pfarrer hat mir dann von der Aktion erzählt und ich stand schon am nächsten Morgen in der Früh am Hernalser Gürtel“, so die 63-jährige ehemalige Buchhändlerin.

In den mittlerweile über zweieinhalb Jahren seitdem es „Tee für Refugees“ gibt, haben viele Freiwillige mitgeholfen. Die meisten blieben nur kurz. „Über die Jahre hat sich ein Grundteam von vier Personen herauskristallisiert. Neben Veronika und mir helfen noch zwei Kolleginnen regelmäßig. So schaffen wir es unter den Wochentagen immer präsent zu sein“, sagt Langer.

Insbesondere zwischen Elisabeth und Veronika hat sich durch die gemeinsame Arbeit eine Freundschaft entwickelt. „Natürlich lernt man sich mit der Zeit besser kennen, Elisabeth ist zu einer Freundin geworden“, so Veronika.

Freundschaften sind bei freiwilligen Arbeiten immens wichtig. Die Motivation aufrecht zu erhalten, ist nämlich nicht immer leicht. „Die Behörden erschweren einen die Arbeit häufig, man wird manchmal bedroht oder beschimpft. Wenn man sich dann mit niemanden austauschen könnte, wäre es nicht möglich diese Arbeit lange zu machen“, so Langer.

Aber obwohl es des Öfteren Probleme mit den Behörden gab, hat es die Gründerin von „Tee für Refugees“ nie davon abgehalten, hartnäckig zu bleiben und sich für die Asylsuchenden einzusetzen: „Ich habe schon nach wenigen Tagen, wo ich den Flüchtlingen Tee ausschenkte, bemerkt, dass eine Toilette dringend notwendig ist. Ich habe dann auch eine Toilette bei der Bezirksvorstehung beantragt. Es hat mehrere Monate gedauert und viele Gespräche bedurft, bis schlussendlich eine Toilette neben dem Gebäude aufgestellt wurde.“

All diese Behördenwege und die Organisation der Aktion macht Elisabeth Langer neben ihrem Beruf. Sie ist selbständig und führt ein Pop-up-Store in der Albertgasse. „Ich stehe früh auf und gehe früh schlafen. So geht sich das alles aus“, sagt sie lächelnd.

Über die Jahre ist ihr Zorn auf die Behörden immer größer geworden: „Wenn man weiß, dass ein Mensch, der hier integriert ist, abgeschoben wird, dann wird man zornig. Und das passiert täglich. Ich kenne viele, die einen Flüchtling bei sich zu Hause betreuen und plötzlich kommt die Polizei und nimmt dann die Person einfach mit“, erzählt Langer wütend. „Da werden junge Menschen in den Tod abgeschoben und Freundschaften, die sie hier aufgebaut haben, werden von einem Moment auf den anderen zerstört.“

Dieses Ohnmachtsgefühl beinahe täglich von solchen Fällen zu hören und nichts dagegen machen zu können, „ist manchmal lähmend“. Das was in solchen Momenten motiviert, sind Erinnerungen an positive Geschichten.

„Vor einiger Zeit kam in der Früh ein junger Afghane vor die Behörde. Er hat die Nacht in einem Park verbracht. Er schlief auf einer Bank und war halb durchfroren. Wir gaben ihm sofort Tee und einen Keks“, erinnert sich Langer. „Ich habe ihn dann lange nicht gesehen. Aber als ihn wiedersah, erzählte er mir, dass in seiner Unterkunft, er und seine Freunde täglich ein Teeritual eingeführt haben. Jeden Tag ist ein anderer dafür verantwortlich, Tee an die anderen auszuschenken. Also spielt quasi täglich einer der Freunde meine Rolle.“

Elisabeth, so erzählte ihr dieser junge Mann, war die erste freundliche Hilfe in Wien gewesen, der er begegnet ist. Das Teeritual ist eine Art Hommage an dieses Treffen. „Als ich es gehört habe, war ich den Tränen nahe. Es berührt mich noch immer, jedes Mal wenn ich daran denke“, so Langer.

Heute sind nicht so viele Flüchtlinge da. Nur etwa 15. „Ein ruhiger Tag. Das gibt es zwar nicht oft, aber egal wie viele Menschen hier stehen, wir sind da und versorgen sie“, sagt Langer.

Für Elisabeth ist dieser Tag dennoch ein ganz besonderer. „Heute ist hier mein letzter Tag als Organisatorin der Aktion. Ich übergebe das Projekt an Veronika weiter.“ Der Grund, warum sie das Projekt übergibt, liegt nicht etwa daran, dass sie nicht mehr kann oder will, sondern im privaten Bereich. „In meinem Privatleben hat sich in der letzten Zeit viel verändert. Deswegen ziehe ich aus Wien weg“, erklärt die 63-jährige Gründerin von „Tee für Refugees“.

„Ich weiß, dass Tee für Refugees bei Veronika in guten Händen ist und die Asylsuchenden auch weiterhin mit Freundlichkeit begegnet und einem Tee in der Früh erhalten werden. Aber jedes Mal, wenn ich wieder in Wien bin, werde ich hierherkommen und Tee ausschenken“, schwört Langer.

Amar ist einer der letzten, den sie in der Funktion der Organisatorin Tee ausschenkt: „Jeder, der neu in einem Land ist und solche freundliche Menschen trifft, dem bleiben sie auf ewig in Erinnerung“, sagt er, nachdem er seinen Tee ausgetrunken hat.


* Name von der Redaktion verändert