Erste Biografie über Erwin Wurm erschienen
Erwin Wurm ist Österreichs erfolgreichster lebender Künstler und insofern viel beschäftigt. Allein heuer stehen sechs Soloausstellungen von Wien bis Shanghai in seinem Terminkalender. Wie aus dem steirischen Polizistensohn der weltbekannte Schöpfer von "One Minute Sculptures", aufgeblähten Autos und XXL-Gurkerl wurde, zeichnet nun Rainer Metzger nach. Der deutsche Kulturjournalist hat die erste Biografie über Wurm anlässlich dessen im Sommer anstehenden 70ers vorgelegt.
Wer Wurms oft überdimensionale Werke kennt, wird nicht überrascht sein, dass der Künstler viel Platz braucht. Fünf Hektar groß ist sein Anwesen - und es ist nicht irgendein Zuhause. Seit zwei Jahrzehnten wohnt der gebürtige Steirer auf Schloss Limberg in der gleichnamigen niederösterreichischen Ortschaft an der Grenze von Wein- und Waldviertel. Das mittelalterliche Hauptgebäude dient der Familie als Wohnraum. Der weitläufige Garten mit Teich ist zugleich Skulpturenpark - hier ein kopfloser Kapuzenmann, dort ein "Fat House", das Wurm mit Rücksicht auf die Political Correctness inzwischen "Big House" nennt, wie er während des APA-Besuchs erzählt. Wer Glück hat, entdeckt eines der Zackelschafe, die sich auf dem Refugium herumtreiben.
Schloss Limberg, um das sich ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmert, ist aber nicht nur Lebensmittelpunkt, sondern auch Arbeits-, Produktions- und Lagerstätte. "Eine richtige Manufaktur", meint Wurm. Wer vom Hausherrn persönlich durch die zugebauten Hallen geführt wird, kommt nicht nur in den Genuss so mancher Anekdote - über in Kunstwerken mitverschickte Mäuse zum Beispiel -, sondern dem wird gleichsam ein Querschnitt des reichhaltigen Schaffens präsentiert. Man trifft dort schnell auf alte Bekannte: In der einen Ecke das eng zum Kuss umschlungene Würstelpaar, gegenüber ein übergewichtiger roter Porsche, im Regal darüber die riesige Pudelhaube, dazwischen ein paar gestauchte Möbel aus dem "Narrow House". Aber auch neuere Arbeiten wie die rosa Hautskulpturen ("Skins") oder Exemplare der gemalten pastelligen "Flat Sculptures"-Serie mit ihren platt gewalzten Buchstaben, von denen einige seit kurzem auch den Louis-Vuitton-Flagshipstore in der Wiener City zieren, werden hier verwahrt.
Allerlei Wurm'sche Ikonen hält auch die üppig bebilderte Biografie Metzgers mit dem schlichten Titel "Erwin Wurm" bereit. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Abbildungen weniger bekannter Objekte vor allem aus der künstlerischen Frühphase des in Bruck an der Mur geborenen und in Kapfenberg und Graz aufgewachsenen Sohns eines Polizisten und einer Hausfrau. In acht Kapiteln zeichnet der Autor Leben und Werk des heimischen Kunststars chronologisch nach und zeigt, wie der Porträtierte die Möglichkeiten der Skulptur im Lauf der Jahre variantenreich weiterentwickelt und neu interpretiert hat. Gespickt sind die rund 300 Seiten mit Zitaten von Weggefährten, Kolleginnen und Kollegen, Familienmitgliedern und Wurm selbst.
Der Pfad beginnt in der durchaus als glücklich empfundenen Kindheit in einem alles andere als musischen Elternhaus, führt über erste Förderer wie den Gymnasiallehrer Norbert Nestler, das Studium in der Bildhauerklasse des Salzburger Mozarteums ab 1977 und später an der Angewandten in Wien bis zu ersten Ausstellungserfolge mit bemalten Holz-, Metall- und Betonobjekten. Man erfährt hier auch einiges über die einschlägige Szene der 80er, über tonangebenden Galeristinnen, die Befindlichkeiten der Hochschulgranden und - sehr amüsant - gescheiterte Ausflüge Wurms ins Aktionistische, als er mit einem Mitstreiter einmal den Verpackungskünstler Christo quasi überfallen und leibhaftig einwickeln wollte.
In den 90ern fand Wurm dann langsam zu seiner Form. Er fertigte erste Skulpturen aus Textilien an, experimentierte aber auch mit Staub, bis er 1997 nach einer veritablen Krise - Vater und Mutter sterben kurz hintereinander, die Ehe mit Dorothee Golz, aus der die Söhne Laurin und Michael entstammen, zerbricht - mit den "One Minute Sculptures" einen internationalen Coup landete. Diese Kurzperformances mit Alltagsgegenständen, teils ausgeführt vom Ausstellungspublikum und teils fotografisch inszeniert, inspirierten sogar die Red Hot Chili Peppers zum Video für ihren Song "Can't Stop". Wurm wird am Ende des Clips via Insert erwähnt.
Längst ist der Wahl-Niederösterreicher, der 2013 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis gewürdigt wurde und 2017 gemeinsam mit Brigitte Kowanz den Österreich-Pavillon der Biennale Venedig bespielt hat, eine große Nummer am internationalen Kunstmarkt. Mit seinen adipösen Autos und Häusern, seinen Würsteln und Gurkerl im XXL-Format oder den Wärmflaschen und Handtaschen auf Beinen sorgt er weltweit für Furore. Entsprechend international ist er auch sein aktuelles Tourprogramm. So läuft noch bis 28. April seine Soloausstellung "Trap the Truth" im Yorkshire Sculpture Park im britischen Wakefield. Bis 14. April ist zudem in London die Schau "Surrogates" zu sehen, in Berlin wird Wurm in der König Galerie bis 22. Juni präsentiert.
Weitere Shows folgen im laufenden Jahr noch in Shanghai (Fosun Foundation, 7. Juni bis 10. August), Venedig (Museo Correr, Biblioteca Nazionale Marciana, 23. August bis 20. Oktober) und Florenz (Museo Novecento, September 2024 bis Februar 2025). Hierzulande wird Wurm anlässlich seines 70ers ab 12. September in der Albertina modern gewürdigt, die ihm eine Retrospektive ausrichtet. Dass der erfolgreichste lebende Künstler des Landes auch in der Provinz gern gesehen ist, demonstriert etwa ein riesiger Granit-Kornspitz, der seit kurzem vor der Zentrale des Backmittelherstellers Backaldrin im oberösterreichischen Aspen steht.
Es war auch eine Art Ausstellung, die den Grundstein für die nun vorliegende Biografie legte. Ab Ende Februar 2020 war im Wiener Stephansdom Erwin Wurms Fastentuch - traditionell wird es jedes Jahr von einem anderen Künstler gestaltet - zu sehen. Rainer Metzger sah den überdimensionalen lila Pullover, der den Hochaltar verdeckte, und sprach Wurm auf sein Vorhaben an. Geworden ist daraus eine äußerst sprachgewandte und spannende Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk des heimischen Künstlerstars, die mit kunsttheoretischen Überlegungen ebenso unterfüttert ist wie mit anekdotischen Abrissen und darüber hinaus auch Einblicke ins Wurm'sche Privatleben gibt, ohne ins Homestory-hafte abzugleiten. Auch Erwin Wurm, der das Buch gemeinsam mit dem Autor im Gespräch mit Hausherrin Lilli Hollein am 19. März im MAK vorstellen wird, ist durchaus angetan vom Ergebnis. "Ganz toll" habe Metzger das alles aufgeschrieben, meint er zur APA. Nachsatz: "Ich kenn' eh alles, für mich ist es fad." (APA)