Staatsoper: Pipilotti Rist verhängt den Eisernen Vorhang
Alpenglühen und Computertomographie, Wasserkraft und mächtiges Mauerwerk - die Assoziationen zur 27. Verhängung des Eisernen Vorhangs der Wiener Staatsoper, die am Dienstag Publikum und Presse präsentiert wurde, sind mannigfaltig. "Bauchhöhle überfliegt Staumauer" heißt das 176 Quadratmeter große, auf drei zusammengeschweißte PVC-Bahnen übertragene Bild der Schweizer Medienkünstlerin Pipilotti Rist, mit dem in der Saison 2024/25 der originale Eiserne Vorhang überdeckt wird.
Das Motiv ist ein Standbild aus einem 22-sekündigen Video, einer älteren Arbeit, die sie für das Projekt ausgewählt habe, erläuterte die 62-jährige Künstlerin, die das Werk ihrem verstorbenen Vater widmete, der einst Stammgast am Opern-Stehplatz gewesen sei. "Es gibt ein paar Menschen in meiner engeren Umgebung, die sind opernsüchtig. Selber hab ich's noch nicht ganz geschafft", gab die Künstlerin, deren multimediale Audio- und Videoinstallationen weltweit gezeigt werden und der 2015 in der Kunsthalle Krems eine große Personale gewidmet war, im Gespräch mit der APA lachend zu.
Opernhaft wurde allerdings die Präsentation gestaltet: Zu einer Schönberg-Fanfare, gespielt vom Bühnenorchester der Staatsoper, wurde das heute früh mit Magneten an dem unter Denkmalschutz stehenden "Eisernen" von Rudolf Eisenmenger befestigte Kunstwerk erstmals heruntergelassen. "Vorhang auf und Bühne frei für die Seele der Oper!", lautete der Willkommensgruß von Bice Curiger. Die Schweizer Kunstwissenschafterin und Kuratorin bildete neben Daniel Birnbaum und Hans-Ulrich Obrist die Jury, die heuer für die Künstlerauswahl verantwortlich zeichnete. Die enorme Weite des sich eröffnenden Panoramas sei von der Staumauer begrenzt und stehe für eine Psyche, die abblockt, interpretierte Curiger das Bild der Künstlerin, deren Arbeit "viel mit der Oper gemein" habe: "Sie hat die Idee vom Gesamtkunstwerk in den digitalen Raum übertragen."
Für Rist selbst steht die von der Staumauer zurückgehaltene riesige Menge Wasser für eine potenzielle Energie, ähnlich jenen tausenden Arbeitsstunden, die von vielen Menschen in eine Opernproduktion investiert werden. "Wenn das hochgeht, schwappt die geistige Energie in den Raum - und ihr werdet alle nicht nass!", frohlockte die Künstlerin, die sich glücklich zeigte, "in der Stadt meiner Studien" das Vertrauen bekommen zu haben. 1982 bis 1986 studierte Rist Gebrauchs-, Illustrations- und Fotografik an der damaligen Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und nahm schon damals als Künstlerin den Vornamen von Astrid Lindgrens frecher und unbekümmerter Figur Pippi Langstrumpf an. Eines ihrer berühmtesten Videos ("Ever is Over All") zeigt eine anmutig durch Zürich spazierende junge Frau, die mit einer Blume unvermittelt Autofenster einschlägt.
In Wien ist Rist mit ihrer farbenfrohen und durch Videos ständig pulsierenden Decke des LOFT im Sofitel am Donaukanal präsent. "Pipilotti Rist ist eine Meisterin der Farben", würdigte Kaspar Mühlemann Hartl, Geschäftsführer von "museum in progress", die Künstlerin, die weltweit in Ausstellungen gewürdigt wird (im Sommer 2025 ist eine große Ausstellung im Center for Contemporary Art in Peking geplant) und im Oktober in Rotterdam den Sikkens Prize entgegennimmt. Mit einem Teil des Preisgelds in der Höhe von 75.000 Euro unterstütze Rist nun den neuen temporären Eisernen Vorhang, sagte Mühlemann Hartl.
Der originale Eiserne Vorhang stammt von dem Künstler und NSDAP-Mitglied Rudolf Hermann Eisenmenger (1902-1994). Zu den Fans seiner Kunst soll auch Adolf Hitler gezählt haben. Er bekam aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg Aufträge (etwa für den Wandbehang im Kinosaal des Künstlerhauses) und Ehrungen wie das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst - eine typisch österreichische Karriere, wie Staatsoperndirektor Bogdan Roščić anmerkte: Seit 1955 fahre sein Eiserner Vorhang auf und ab - "aber keiner sieht es". Seit 1998 wird im Rahmen einer von museum in progress konzipierten Ausstellungsreihe, in der u.a. Werke von David Hockney, Maria Lassnig und zuletzt Anselm Kiefer zu sehen waren, Eisenmengers "Orpheus und Eurydike"-Motiv verdeckt. Von heute bis Ende Juni 2025 heißt es vor der Vorstellung dann "Bauchhöhle überfliegt Staumauer". Regulär bekommt ihn am Abend erstmals das Publikum einer "Le nozze di Figaro"-Vorstellung zu sehen. Roščić: "Ich bin schon gespannt!" (APA)