Über 300 Anzeigen nach Demo am Stephansplatz
Obwohl eine für Mittwochabend angemeldete Pro-Palästina-Demonstration in der Wiener Innenstadt nur Stunden zuvor von der Polizei untersagt wurde, hatten sich mehrere hundert Demonstranten auf dem Stephansplatz versammelt, die Stimmung war aufgeheizt. Die Polizei hatte die Versammlung nicht aufgelöst, sondern die Teilnehmer eingekesselt. Es gab mehr als 300 Anzeigen, der Großteil wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, so die Bilanz der Polizei. Festnahmen gab es keine.
Insgesamt 304 Identitäten wurden laut Exekutive festgestellt. Eine Person wurde nach dem Strafgesetzbuch wegen gefährlicher Drohung, 292 nach dem Versammlungsgesetz und elf Personen wegen anderer verwaltungsrechtlicher Delikte, beispielsweise wegen aggressivem Verhalten, angezeigt.
Die Polizei hatte die verbotene Kundgebung aus "einsatztaktischen Gründen" nicht physisch aufgelöst. Weil die Demonstranten den mehrfachen Aufforderungen, die nicht rechtmäßige Kundgebung zu verlassen, nicht nachkamen, wurden sie eingekesselt. Erst als die friedliche und ruhige Gedenkveranstaltung für die Opfer und Vermissten in Israel am Ballhausplatz beendet war, wurde die verbotene Demonstration am Stephansplatz aufgelöst. Hierfür dürften auch zahlreiche Polizeikräfte gebunden gewesen sein, um die anwesenden Regierungsmitglieder zu schützen, weshalb es am Stephansplatz zunächst keine weitere Verstärkung gab.
Kurz vor 21.00 Uhr durfte rund die Hälfte der eingekesselten Personen, gehen, von den restlichen wurde die Identität festgestellt. Durch die Kesselung sei ein "geordnetes Abströmen in die Wege" geleitet und Identitätsfeststellungen sichergestellt worden, bilanzierte die Polizei. Außerdem sei es gelungen, "die illegale Versammlung stationär zu halten und eine Verlagerung Richtung Ballhausplatz zu verhindern", so das Fazit der Exekutive. Initiiert hatte die dortige Veranstaltung die Israelitische Kultusgemeinde. Eine Störung der Gedenkzeremonie und damit zusammenhängende Ausschreitungen zu verhindern, sei das "oberste Ziel des polizeilichen Einsatzes" gewesen.
Die Polizei betonte in einer Aussendung am Donnerstag auch, dass im Zuge des Einsatzes am Stephansplatz zahlreiche staatspolizeiliche Erkenntnisse gewonnen werden konnten.
Am Nachmittag war die für den Abend angemeldete Kundgebung kurzfristig untersagt worden. Der Schritt sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit "zulässig und geboten", hatte Polizeipräsident Gerhard Pürstl erklärt. Bei einem kurzfristig einberufenen Pressetermin hatte Pürstl das Verbot mit den Worten begründet, dass man verhindern habe müssen, "dass der gewalttätige Konflikt im Nahen Osten auf die Straßen Wiens getragen wird". Pürstl berief sich auf jüngste nachrichtendienstliche Erkenntnisse, denen zufolge die ursprünglich als "Mahnwache in Solidarität mit Palästina" angemeldete Veranstaltung in "eindeutige Gewaltaufrufe" in Richtung des Staates Israel münden hätte können. Im Vorfeld seien im Internet Einladungen zu der Kundgebungen mit von der Hamas verwendeten Codes verbreitet worden, die ein freies Palästina und die vollständige Auslöschung Israels gutheißen bzw. propagieren. Die Veranstalterin der Kundgebung habe sich davon nicht distanziert, weshalb man sich nach einer "ganz sorgfältigen Abwägung" dazu entschlossen habe, die Veranstaltung nicht stattfinden zu lassen, erläuterte Pürstl.
Am Mittwochvormittag hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) noch keinen Grund gesehen, die Demonstration zu untersagen. Das Versammlungsrecht sei "in einer wehrhaften, freien Demokratie eines der höchsten Güter", argumentierte Karner. Die Einschätzung der Lage dürfte sich nach im weiteren Verlauf des Tages gewonnenen Erkenntnissen der Direktion Staatsschutz Nachrichtendienst (DSN) geändert haben, zu denen Polizeipräsident Pürstl keine Details bekanntgeben wollte.
Der Wiener Polizei sei es durch die in der Einsatzplanung festgelegten Maßnahmen und das besonnene Einschreiten der Einsatzkräfte während des gesamten Einsatzes gelungen, eine Eskalation zu verhindern. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit konnte umfassend gewährleistet werden, lobte sich die Polizei in ihrer Presseaussendung am Donnerstag. Es wird nicht die letzte Pro-Palästina-Demo gewesen sein, am Samstag wird eine weitere größere erwartet, sagte Polizeisprecher Markus Dittrich . Diese wird noch geprüft.