Verstärkt gegen Femizide
In Österreich sind 2023 bisher 15 Frauen getötet worden, 13 davon fielen Femiziden zum Opfer. Ausgehend von einer Studie über die Frauenmorde der vergangenen zehn Jahre durch das Institut für Konfliktforschung will die Bundesregierung noch stärker gegen diese Form der Gewaltverbrechen vorgehen. Vor allem die Prävention soll weiter ausgebaut werden, wie Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP), Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonten.
Für die dafür beauftragte Studie wurde von den Wissenschafterinnen Viktoria Eberhardt und Brigitte Temel unter der Leitung von Birgitt Haller zum einen die Polizeiliche Kriminalstatistik der Jahre 2010 bis 2020 ausgewertet und zum anderen wurden Gerichts- und Staatsanwaltschafts-Akten aus den Jahren 2016 bis 2020 analysiert. Demnach gab es in den untersuchten elf Jahren 793 weibliche Opfer von Morden oder Mordversuchen mit 767 Tatverdächtigen. Die Auswertung der Akten zeigte zudem, dass es sich bei 73 Prozent der Morde um Femizide gehandelt hatte - das heißt, dass hier das Geschlecht ausschlaggebend für die Tat war.
Der gefährlichste Ort für eine Frau, einem Femizid zum Opfer zu fallen, war demnach die eigene Wohnung, mit 74 Prozent waren die Täter zum überwiegenden Großteil Partner oder Ex-Partner. Gegen 20 Prozent lag bereits ein Betretungs- bzw. Annäherungsverbot vor, bei sieben Prozent sogar schon mehrfach. Ein erschütterndes Ergebnis ist, dass kaum Frauen Hilfe gesucht hatten, bevor die Situation eskalierte. Von den Opfern der von (Ex-)Partnern begangenen Tötungsdelikte hatten nur vier zuvor Kontakt zu einer Hilfseinrichtung gehabt, sagte Raab. "Das gut ausgebaute Gewaltschutznetz ist nur so gut, wie es in Anspruch genommen wird", betonte sie.
Durch die jüngste Tat am Montag in Wien, bei der ein Mann seine Lebensgefährtin mit einem Messer attackiert und getötet haben dürfte, habe die Thematik Frauenmord erneut "an trauriger Aktualität gewonnen". Die Ministerin will vor allem die Prävention verstärken: So sollen Hilfseinrichtungen bekannter gemacht sowie mehr Schutz- und Übergangswohnungen für gewaltbedrohte Frauen vor allem in den Bundesländern zur Verfügung gestellt werden.
Raab betonte, dass man auch bei der Integration ansetzen müsse. Täter mit Migrationshintergrund seien bei Frauenmorden verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überrepräsentiert. Die Frauen- und Integrationsministerin verwies hier auch auf die mitunter extrem patriarchalen Strukturen in den Herkunftsländern. Die Taten seien aber niemals monokausal erklärbar, in den meisten Fällen gebe es auch Hinweise auf oft mehrere mögliche Hochrisikofaktoren wie Gesundheitsprobleme.
Zadić unterstrich, dass "jeder Femizid einer zu viel sei". Ein Hauptproblem sei, dass sich Opfer nur in Ausnahmefällen an die Behörden wenden. "Das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen müssen", sagte die Justizministerin. Ein Schritt sei, Gewaltschutzzentren bekannter zu machen, an die sich Frauen wenden können - auch ohne gleich eine Anzeige machen zu müssen. Ein Konzept für die österreichweit geplanten Gewaltambulanzen sei in Ausarbeitung: Mit besserer Dokumentation von Spuren nach Gewalttaten sollen die Verurteilungsquoten angehoben werden, die nach wie vor sehr niedrig seien.
Innenminister Karner betonte, dass die Exekutive auf das Problem bereits reagiert habe. So sei die Zahl der Präventionsbediensteten von 500 auf 1.200 erhöht worden, seit eineinhalb Jahren gehe mit einem Betretungsverbot zudem ein automatisches Waffenverbot einher. Er kündigte einen weiteren Ausbau der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen bei Hochrisikofällen - heuer gab es bis Ende Mai bereits rund 100 - und eine Präventionskampagne an. Eine verbesserte Datenbasis soll durch eine genauere Protokollierung der einzelnen Gewaltfälle durch die Polizei geschaffen werden.
"In neun von zehn Fällen waren die betroffenen Frauen vorher nicht bei der Polizei oder bei einer Gewaltschutzeinrichtung", bedauerte auch Marina Sorgo, Bundesverbandsvorsitzende der Gewaltschutzzentren. Hier müsse man ansetzen mit breiter Information, aber auch dem Bemühen, das Vertrauen von Betroffenen auch mit Migrationshintergrund in die Polizei zu stärken.
Die beiden Studienautorinnen empfehlen, die Aufgaben und Angebote der Gewaltschutzzentren immer wieder in breit angelegten Kampagnen bekannt zu machen. Stärkeres Augenmerk müsse auf die auf psychische Gesundheit von Gefährdern gelegt werden, die Rolle des Gesundheitssystems in der Gewaltprävention gehöre aufgewertet, sagten Viktoria Eberhardt und Brigitte Temel. Um zu wissen, wo die Behörden ansetzen sollen, seien zeitnahe qualitativen Analysen von Femiziden nötig, wobei alle involvierten Einrichtungen einbezogen werden müssten. Ein Problem sei derzeit noch, dass Datenschutz mitunter in Konflikt mit Opferschutz und Forschung stehe, was den Informationsaustausch behindere.
SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner forderte "einen permanenten Krisenstab jetzt!" "Bei der Präsentation der Studie des Instituts für Konfliktforschung wurde deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit aller am Gewaltschutz beteiligten Organisationen ist, um Femizide zu verhindern. Seit Jahren fordern wir einen permanenten Krisenstab von Justiz-, Frauen-, Innenministerium mit den Gewaltschutzeinrichtungen. Nichts ist geschehen. Ein Treffen im Jahr, das kann doch nicht alles sein!", so Holzleitner.
Dass sich so wenig Frauen Hilfe gesucht hätten, müsse "ein Weckruf für die Regierung sein", reagierte NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter. "Denn das zeigt, dass ÖVP und Grüne beim Gewaltschutz sehr planlos unterwegs sind und das Angebot nach wie vor nicht bekannt und niederschwellig genug ist. Wir fordern daher ein Buddy-System, damit Frauen, die sich nach Gewalterfahrungen erstmals an das System wenden, eine Vertrauensperson haben, die sie bei jedem behördlichen, gerichtlichen, polizeilichen und gesundheitlichen Schritt begleitet", so Brandstötter.